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Stick to it

Karl Ritter, Gitarrist der österreichischen Retro-Dinos "Kurt Ostbahn & Die Kombo", ehemals "Ostbahn-Kurti und die Chefpartie". Ritter zeichnete, als es Mitte der achtziger Jahre darum ging, möglichst viel Rock´n´Roll-Spaß als Antikörper gegen den vorherrschenden Yuppie-Hedonismus zu entwickeln, für den groben, infernalischen Grundton dieser über alle Maßen erfolgreichen Spaßband verantwortlich. Vroooom-Vroooom-Vroom-Vroom: Das hieß erstens "I heard it through the grapevine" auf Wienerisch, gleichzeitig aber bedeutete es musikalische Weltklasse (wenn nur Wienerisch nicht so eine freiwillige Vertriebs-Selbstbeschränkung gewesen wäre).

Legendäre Gitarrensoli auf legendären Konzerten, Abteilung: Wenn Springsteen ein Solo spielen könnte, es würde so oder so ähnlich klingen. Verzückung im Publikum. Fanclubs, die Ritter feierten und dessen flinke Finger und lange Zähne abgöttisch liebten. Gleichzeitig aber die Bruchstellen. Nicht daß Karl Ritter den Rock´n´Roll nicht geliebt hätte. Er wollte aber auch ein Regal besitzen, um ihn einordnen zu können. Setzte sich also daheim vor den Plattenspieler und hörte sich in höchst sperrige Zwölfton-Schemata hinein. Notierte, bloß zur Übung, Ernst Krenek-Melodien aus dem Lautsprecher aufs Notenpapier. Erschloß sich jede Theorie, die es ihm möglich machte, seine Saiten besser zu verstehen, ihre Möglichkeiten zu fantasieren, zu probieren, zu verwerfen.

Klar, das ursprüngliche Blues-Schema ist mit dem Herzblut des Karl Ritter geschrieben, und wenn er eines Tages aus einem 57-Chevy fällt, weil´s Zeit dafür ist, wird ihm blaues Blut aus den Ohrwascheln rinnen wie jedem echten Blueser (bis dahin ist es allerdings noch weit, denn die echten Blueser haben alle miteinander eine geheime Lebensversicherung, wenn sie einmal den 23. Geburtstag überlebt haben. Ihr braucht nur bei John Lee Hooker nachfragen).

Doch hat sich Ritter entschieden, die Schatten des Blues auszuleuchten; seiner Gitarre zuzuhören, wenn sie wirklich weint (wie auf Track 1 dieses Albums); schwer also, langsam, düster, klamm; Musiken zu kombinieren, die sich nur in einem Probekeller und Aufnahmestudio treffen - komplizierte, künstliche Samples und die frische, lächelnde Slide-Gitarre zum Beispiel; hypernervöse Grooves, die von einer gelassenen Schweinegitarre ins Leere geschickt werden, so daß man ihr nachwispern, nachweinen muß; aber auch himmelhochschöne, himmeltraurige Slide-Gitarren-Seufzer (die als Filmmusik - "Schwarzfahrer" - entstanden sind, sich jedoch längst die eigenen Bilder in den Himmel geschrieben haben, suggestiv und warmherzig, wie sie sind). Vier Alben hat Ritter aus gitarristischen Ideen bis jetzt gemacht. Es sind Kelleralben, Himmelalben, Lärmalben, Herzalben, bunt gemischt. Dieses trägt den Namen "Stick To It" und ist so etwas wie eine "Best Of"-CD.

Soll heißen: es stellt musikalische Ausschnitte aus dem kompositorischen Leben eines der besten österreichischen Komponisten in einen neuen Sinneszusammenhang. Fügt Teile, die noch nicht zusammengehörten, ineinander.

"Stick To It" kombiniert nicht etwa die gefälligsten Stücke Ritters zu einem mehr oder weniger auffälligen Album. Er reißt einfach sein Herz auf und läßt das blaue Blut fließen.

Christian Seiler




Bisher erschienene CD: Stick to it

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