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GUTER MANN, DAS
Mal ehrlich, sieht der Kerl nicht aus wie Frankensteins Jüngster, der nach der ersten Gitarrestunde seinen Lehrer aufgefressen hat? Nun, beurteilte man alle Gitarristen nach ihrem Konterfei, dann hätte auch Keith Richards schlechte Karten.
Doch es eint zwar den Österreicher Karl Ritter und den Briten Richards die deftige Nasenumgebung, aber eben auch die Liebe zum Blues. Während aber der Alte sich im Alten beschränkt, tobt der Junge aus Stockerau über die Saiten, als hätte ihn BSE gestreift. Ein Verrückter? Nein, Ritter ist ein Profi, der sonst recht diszipliniert zum Beispiel bei Herrn Kurt Ostbahn die Klampfe schlägt. Spielt er aber alleine, dann, so scheint es, fallen alle Schranken und Hemmungen.
Hört man genauer hin, etwa bei "Tiefe", dem dritten Cut, stellt man fest: Dieser Mann ist nur ein genialer Gitarrist, der bei Gottes Vergabe von blauen Noten so laut "Hier" geschrien hat, daß ihm der Herrgott dreimal einschenkte.
Schon das Intro namens "Introverbal": Es klingt, als habe Ry Cooder bei der Vertonung von "Paris, Texas" zuviel Gras geraucht. Und Ritter lebt diese Obsessionen aus, 13 Minuten noch was dauert dieses erste Stück, das zweite, "Dobroutre", immerhin noch 8,28 Minuten. Und keine Sekunde davon ist langweilig.
Rätselhaft ist nur, wieso es so lange gedauert hat, bis Ritters Münchner Management sich traute, den Mann hierher zu holen. Die Scheibe ist doch, zumindest für Kenner, schon lange zu haben. Nun könnte es endlich passieren, daß man auch in den Großraumramschläden der Tonträger-Industrie ein Fach Karl Ritter einrichten wird. Denn was sich hier auf den sechs durchgestimmten Saiten abspielt, sprengt den gewohnten Rahmen europäischer B l u e s - A d a p t i o n e n. Hier geht der Musiker auf im Kreis des Schemas, fegt im Rhythmus durch die Welt der schwarzen Musik und vergißt dann vor Begeisterung, bei der Landung die Landeklappen auszufahren. Absturz? Naja, harte Landung am Rande des Wahnsinns.
" D o b r o " ist nicht nur Markenname einer von Ritters Gitarren,
" D o b r o " ist auch Kroatisch und heißt gut.
" D o b r o m a n n " ? Guter Mann. Sehr guter.
Süddeutsche Zeitung
Prinzenrolle
Früher hieß der Ritter Karl: Karasek, "Prinz" Karasek. Er stand mit dem besser bekannten Dr. Kurt Ostbahn auf der Bühne, streichelte die Stromgitarre und besaß eine eigene, unverwechselbare Geschichte in der erfundenen Geschichte der "Chefpartie". Doch, um mit Bob Dylan zu sprechen: he threw it all away. Noch bevor die "Chefpartie" sich ohnehin auflöste, bildete sich der wieder auf seinen echten Namen reduzierte Karl Ritter ein, seine eigenen Wege zu gehen, koste es, was es wolle (und es kostete eine ganze Menge). Er experimentierte mit Neuer Musik, nahm eine hervorragende Platte mit Volksmusik auf ("Sonnwende") und bog sich das ganze Gitarrenuniversum für sein erstes Soloprogramm zusammen, das schlanker nicht heißen könnte: "Karl Ritter Solo".
profil
Im Land der Slidegitarren
PORTRÄT Karl Ritter, der als Prinz Karasek für Dr. Ostbahn die Stromgitarre würgte, ist ein guter Mann. Und "Dobromann" heißt jenes Soloprogramm, das den vielseitigen Gitarristen und seine sechssaitige Dobro dieser Tage wieder einmal gemeinsam zu Gehör bringt.
"Die Dobro ... sie ist mysteriös ... voll Seele ...
manchmal klingt sie wie ein bloßfüßiger Junge,
der die dreckige Straße runter zum Fischteich latscht.
Dann wieder ist sie diese unglaublich
schöne Frau, die du nie kriegen wirst."
John Fogerty
Zu Beginn unseres Jahrhunderts kommen fünf tschechische Brüder ins sonnige Kaliforien und verdingen sich in Ermangelung von Angeboten aus dem Tellerwäscher-Busineß als Gitarrenbauer. Der älteste des Brüder-Quintetts mit dem Namen Dopyera erfindet 1928 mehr nebenbei als gezielt eine Gitarre mit mechanischer Schallverstärkung (die elektrische Gitarre war damals nur in marginalen Ansätzen entwickelt). Um dem Kind einen Namen zu geben, schnitzen die böhmischen Entrepreneurs aus DOpyera BROthers ihren Firmennamen: Dobro. Der schnarrend metallische Klang macht seinen Weg durch die Spelunken des amerikanischen Kontinents bis in den Weihetempel nationalen Stolzes, die "Grand Old Opry" in Nashville, Tennessee. Wie die Dobro (auf böhmisch heißt dobry "gut") aussieht, weiß im Land der Hamburger jedes Kind, Europäern sei das Dire-Straits-Cover "Brothers in Arms" in Erinnerung gerufen. Den unverwechselbaren Klang des sechssaitigen Aluminium-Holz-Hybrids hat Ry Cooder im Soundtrack zu Wim Wenders "Paris, Texas" und unauslöschlich mit dem Genre Road-Movie verknüpft.
Dobromann Karl Ritter ist nicht glücklich, wenn man ihn mit Ry Cooder vergleicht, auch die Bezeichnung "Gitarrist" hat für den Stockerauer Musiker nicht mehr als biografischen Stellenwert. Die inzwischen abgelegte Rolle des Prinz Karasek in Dr. Kurt Ostbahns Chefpartie hat ihm zwar einerseits eine breite Öffentlichkeit erschlossen, ist aber andererseits mit der Punzierung "Stromgitarrentier" versehen. Viel gerechter wird man Karl Ritter und den Weiten seiner musikalischen Landschaft, wenn man ihn vom großen Bogen sprechen läßt. Mit einem großen Bogen hat alles angefangen. Einen großen Bogen nämlich muß der Sechsjährige beim Geigenlernen führen. Vater Ritter, "ein eher durchschnittlicher Mandolinspieler" hält den kleinen Blondschopf zum Studium der Violine an. In Gegenwart der Mutter kann sich Ritter schon mehr entfalten: "Die Mutter war terrisch auf die Ohren, do hob i donn a Stund" improvisiert auf da Geigen, die hat des net vastondn, da hob i des letzte Blattl von dem Notenheftl aufg'schlong und mi über irgend a Zigeunerstückl wegimprovisiert."
In die Gitarre verliebt sich Ritter während einer Familienfeier. Fasziniert vom stählernen Sound der tiefen E-Saite versenkt er sich stundenlang in die Klanggebilde, die er der billigen Westerngitarre seines Cousins entlockt. Mit dem Erlös eines alten Cassettenrecorders finanziert sich Ritter seine erste eigene Gitarre, findet Anschluß an Gleichgesinnte und verbringt mit ihnen Tage und Nächte in muffigen Probelokalen. All das entspricht dem oftgemalten Bild des österreichischen Musikers, der mit beiden Händen die Nacherzählung des amerikanischen Traums von der Garagenband, die's irgendwann einmal schaffen wird, ins kleinkarierte Tagebuch schreibt. Aber vielleicht ist Karl Ritter schon damals etwas "eigener" gewesen als die anderen.
Mit der Kenntnis der Akkordfolgen des Schikurshits "House of the Rising Sun" zu imponieren liegt dem Elektrikerlehrling Ritter jedenfalls so wenig am Herzen, wie die Girls mit dem knurrenden Riff zu "Smoke on the Water" flachzulegen. (Zwischen diesen beiden Eckpfeilern spannt sich jene schmale Brücke, die die Stromgitarrehelden der Popodrom-Generation beschreiten müssen, um in Wien und Umgebung auch nur annähernd so etwas wie "an Auftrag" zu haben.)
Die Suche nach dem Eigenen führt Ritter in fremde Schluchten. Die Expeditionen in den Saltus Zappaensis führen in über Edgar Varese (das große Über-Ich Frank Zappas) zur Zwölftonmusik. Ritter hat außer Wurstresteln und ausgegrabenen Kartoffeln nichts zu beißen, versteigt sich aber dennoch in die hohen Wände, in die ihn etwa Ernst Kreneks Musik lockt. Monate verbringt er damit, dem ersten Satz von Kreneks Dritter Symphonie eine brauchbare Transkription abzuquälen. (Die gedruckten Noten hätten in der Musikalienhandlung zweieinhalbtausend Schilling gekostet: viel zuviel für einen Suchenden ohne Geld, aber mit Zeit wie Heu.)
Den Ausflug Richtung Punk vermittelt ein Freund, der 1976 enthusiastisch von der neuen Musik aus London berichtet. "Wie geht das", fragt sich Ritter, eben noch auf dem technischen Trip, "wie krieg' ich das auf der Gitarre zusammen, diese Energie, die die Clash da rüberwachsen lassen, was passiert da?"
Zur vielleicht radikalsten Reise schließlich lädt in Willi Resetarits ein, als er Ritter den "Prinz Karasek an der Stromgitarre" in Ostbahn-Kurtis Chefpartie anbietet. In dem Maße, in dem sich Willi Resetarits in sein Alter ego Ostbahn verwandelt, muß auch Ritter in seinem Part als proletarischer Gitarrenwichser aufgehen. Kein Wunder, daß es ihn nach Jahren des Schwitzens unter Scheinwerferorgeln wieder in die Freiheit der eigenen Musik zieht. Ritter schließt sich etwa mit dem Pianisten Pernes und dem Ziehharmonikaspieler Eder von der Ausseer Bradlmusi zusammen, um "Volksmusik" zu machen, und spielt die Filmmusik zu Nikolaus Leytners "Schwarzfahrer" ein.
Als Ritters ambitioniertestes Projekt hingegen darf die Soloperformance "Dobromann" gelten, die 1995 auch auf Silberdeckel geschnitten wurde und alle jene musikalischen Bilder, flüchtigen Klangskizzen und Soundaquarelle versammelt, die der Gitarrist seit dem ersten verliebten Schrammen über die E-Saite entworfen hat. Die Dobro ist dabei nur eines der Transportmittel. Während Finger und Bottleneck dem Instrument mehr an Intensität entreißen, als die Grenzen des Genres "Slide Guitar" vorsehen, holt sich Ritter per Fußpedal noch Samples und Dubs aus dem virtuellen Raum, um das einzige zu halten, was ein Musiker sich und seinem Publikum versprechen kann - Spannung. Ritter: "Das, was im Kopf ist, umzusetzen und zu akzeptieren, was dann draus entsteht. Mit Spannung und Entspannung arbeiten, auf was draufkommen. Darum geht´s mir vielleicht. Vergiß die ganzen Blue Notes."
Andrea Dusl (Falter, 12/97)
Kann sich jemand die musikalische Schnittstelle aus Hendrix und Hawkwind, Captain Beefheart und Charlie Patton, Ry Cooder und Prodigy vorstellen ? Nein -? Karl Ritter kann. Sollte es auf dem dritten Ring des Saturn eine Baumwollfarm geben, der Sideman von Dr. Kurt Ostbahn hätte den passenden Blues. Wie ein Irrwisch fegt er zwischen akustischen und elektrischen Gitarren, Dobro, DAT-Gerät und diversen Pedalen umher, sumpft hier durchs Delta, ruft höllische Grooves ab, läßt Samples dazwischenfunken, zischt seltsames Voodoozeugs. "Plastiktechno" und "Technotronic" heißen die Stücke, aber auch - ganz der Tradition verpflichtet - "Lonely C. B." Und "Why Why Mama Cry". Schon der Opener, die Trance-Slide-Orgie "Introverbal/Winter", zieht den Hörer in ein Labyrinth, in dessen Zerrspiegeln sich Strukturen aufzulösen scheinen. Dem abgedrehten Country-Blues "Dobroutre" folgen singende Soundtrack-Schleifen wie für einen David-Lynch-Western ("Tiefe"). Spätestens bei "Gez" klebt der Energieanzeiger endgültig im roten Bereich. "Blue Jacket Don't Make It" zitiert Zappas zynische Sentenzen über braune Schuhe und andere Widerwärtigkeiten des Alltags, ehe die Slidesplitter via Teilchenbeschleuniger in einen wahnwitzigen Techno-Veitstanz verfallen. Auf DOBROMANN wird Blues zum Raketentreibsatz für den Flug in Galaxien, wo Musik Rausch ist, ein immerwährender "Countdown to exstasy". "Third stone from the sun", sagt Jimi Hendrix. Sechs Sterne, sagen wir.
Musik Express / Sound
... Ritter verfügt über unheimlich guten Groove, leichtfingrig sprengt er jegliches formale Konzept. Blues der Industrielandschaften.
WOM Journal
Nirgends gleitet das Metallröhrchen derzeit so schön wie in der Alpenrepublik, ... sehnsüchtiges Slide-Gitarrrenspiel mit Techno-Zitaten, skurrile Stimmsamples mit Country-Paraphrasen gemischt.
FAZ Magzin
Während Finger und Bottleneck dem Instrument mehr an Intensität entreißen, als die Grenzen des Genres "Slide Guitar" vorsehen, holt sich Ritter per Fußpedal noch Samples und Dubs aus dem virtuellen Raum, um das einzige zu halten, was ein Musiker sich und seinem Publikum versprechen kann - Spannung.
Falter
... was ganz Besonderes... Weil Ritter, da solo, meist mit akustischer, aber auch mit E-Gitarre, Stimme und Sampler ein emotional vielschichtiges, stimmungsvolles Album vorgelegt hat, das seinesgleichen sucht (aber nicht findet). Er schlägt und streichelt die Klampfe, läßt sie weinen und lachen, sie häßlich und schön erscheinen...
Frankfurter Rundschau
Eine anstrengende, aber im Jahr '97 die beste CD bisher...
Mittelbayerische Zeitung
... meditativer Extpressionismus ... schafft ... eine eigentümliche, intensive Atmosphäre.
Gitarre & Bass
... was sich hier auf den sechs durchgestimmten Saiten abspielt, sprengt den gewohnten Rahmen europäischer Blues-Adaption ... harte Landung am Rande es Wahnsinns ... Guter Mann. Sehr guter.
Süddeutsche Zeitung
... hochinteressante Sphären. Karl Ritter setzt sich mit der Zukunft auseinander, wo ein Leo Kottke sich leider nur zurückgesetzt hat.
Zentral Nerv
... Man taucht ein in ein Bluesriff mit Bottleneck, meint da spielt sich einer warm, aber allmählich entfaltet sich eine düstere Atmospähre, die jedes Scheppern über die Saiten einfängt. Ritters Musik schwelgt im Klang und lotet aus, was alte Riffs von Blind Willie Johnson für lange Exkursionen hergeben. Von einer 13-minütigen Trance-Eskapade bis zum ein paar Sekunden kurzen Schnipsel reitet der Mann seine Instrumente, sampelt sich selbst und grollt dazu. Man mag Vergleiche mit Gary Lucas anstrengen, der bekanntlich ein Hexer mit Samples und Delays ist, aber der Tonmaler Ritter gibt sich extrovertierter.
Fachblatt
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