50 Jahre Karl Ritter | Frei erfunden | Traumland | rot + blau | Atmen | nuages | Solo - Dobromann | Stick to it | Sonnwende  
Ein Freigeist mit vielen Gesichtern.
Versuch über Karl Ritter

von Andreas Felber

Karl Ritter "mfgt" nicht. Er gehört auch nicht zu jenen, die ein E-Mail mit einem unverbindlichen "lg" abschließen. Karl Ritter schreibt vielmehr: "s.g." - und sagt damit "scheen Gruaß". Ein Detail, gewiss. Und doch auch ein Indiz. Denn: Das schreibt nur Karl Ritter. Und es sagt auch in der dialektalen Abweichung von der schriftsprachlichen Norm, im Willen zum Ausscheren aus den bekannten Bahnen, etwas über Ritter aus. Zumindest über seine Musik. Diesbezüglich hat er schon früh eigene Wege beschritten, abseits gut ausgeleuchteter Trampelpfade, ohne daraus ein Dogma zum Anders-Sein-Müssen abzuleiten. Ein Freigeist sei er immer schon immer gewesen, sagt Karl Ritter über sich selbst. Schon als Kind, im nördlich von Wien gelegenen Stockerau, wo er heute wieder lebt, hätte er vor allem dann Geige geübt, wenn der Vater aus dem Haus war - und er also stundenlang drauflos improvisieren konnte. Später, nachdem er im Alter von 13 Jahren zur Gitarre gewechselt war, standen ausgedehnte Forschungsreisen in vielerlei zeitgenössische Musik-Gefilde an. Der Punk von "The Clash" kam da gleich nach Zwölftonmusik. Frank Zappa stand neben Edgard Varèse. Sogar Ernst Kreneks 3. Sinfonie wurde von der Schallplatte transkribiert, jeder Ton selbst erarbeitet, erspielt, erspürt. Ritter ist Autodidakt - natürlich Autodidakt, ist man versucht zu sagen. Vielleicht ein Mitgrund dafür, dass die seine Musik, ob geräuschhaft, ob klangschön, stets expressiv, prägnant, von plastischer Intensität ist.

Doch halt! Wie passt der Herr Ostbahn in dieses Bild? "Der Ostbahn-Kurti ist mir ja eigentlich nur passiert", pflegt Karl Ritter über das Engagement zu sagen, durch das er es in Österreich zu großer Bekanntheit gebracht hat - und das gleichzeitig für so manches Missverständnis in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung des Gitarristen verantwortlich ist. 15 Jahre lang, von 1988 bis 2003, bereicherte Karl Ritter u. a. als "Prinz Karasek" die "Chefpartie" und die "Kombo" von Ostbahn-Kurti alias Willi Resetarits mit rockig-bluesigen Gitarrentönen. Eine gute Zeit, in der er viel gelernt habe, sagt Karl Ritter. Eine Zeit, in der - trotz Soloprojekten wie "Dobromann", trotz Auftritten mit Otto Lechner und im Free-Rock-Trio "Sel Gapu Mex" mit Al Slavik und "Depeche Mode"-Drummer Christian Eigner - indessen zumeist nur eines von Ritters vielen Gesichtern zu erleben war.

Wohl auch deshalb strömt die Musik seit dem Bühnenabgang von Ostbahn-Kurti anno 2003 nur so aus ihm heraus. Die andere, in den Jahren davor weniger hörbare Musik. "Atmen" heißt das erste, großartige CD-Statement mit programmatischem Titel, in dessen Rahmen sich Ritter als Meister trashiger, frei improvisierter Meditationen über den Blues erweist. 2007 zeigt Ritter gleich zwei neue Gesichter: eines blau, das andere rot - so prangt sein Konterfei auf den CD-Covers. Ritter, der Kosmopolit eigener Prägung, der mit splittrigen, obertonreich verzerrten Gitarrensounds indische wie westafrikanische Klangsphären neu erschließt, um sich nicht zuletzt in die unglaublichen Antilopenhorn-Patterns des Tonga-Volks in Zimbabwe einzuklinken. Ritter, das Naturereignis mit Köpfchen, das die Resultate der elektronischen Musik mit der rohen Energie von Rock und Noise kurzzuschließen trachtet. Schon steht die Post-Ostbahn’sche Trilogie des Karl Ritter. Nein, das ist kein "Kreativ-Rocker" , der solche Töne von sich gibt: Dass mit diesem "Argument" im Jahr 2005 die Nominierung Ritters für den Hans-Koller-Preis abgelehnt wird, sagt gleichermaßen viel über das Phänomen selektiver Wahrnehmung wie über die Zähigkeit medial etablierter Bilder aus.

Ritter hingegen kümmert dies kaum. Er geht weiter seinen Weg. Färbt im Trio "Weiße Waende" mit Text-Improvisator Christian Reiner und Schlagzeuger Herbert Pirker spontane Wortcollagen mit Klängen ein. Vollführt im Rahmen des 2008 erschienenen Soloalbums "Traumland" wundersame assoziative Metamorphosen zwischen Laute, Cembalo und Bottleneck-Gitarre, durchreist unbekümmert Kontinente und Jahrhunderte und bleibt doch stets bei sich. Im jüngsten Trio, mit Saxofonist Andrej Prosorov und Schlagzeuger Dušan Novakov, kommen indessen plötzlich zarte melodische Linien zum Vorschein, kammermusikalische Songstrukturen, die als Angelpunkte für frei improvisierte Gedankenflüge fungieren. Das ist Musik, die ins Ohr geht, und aus der dennoch eine besondere Dringlichkeit spricht, die sich aus dem Wissen um die Möglichkeit speist, im nächsten Moment ins geräuschvolle Gegenteil kippen zu können. Kein Zweifel: Karl Ritter hat aus den verschiedensten musikalischen Stilen und Sprachen seinen eigenen, unverwechselbaren, ebenso kraftvollen wie poetischen musikalischen Dialekt geformt.


Ein Freigeist mit vielen Gesichtern.
Versuch über Karl Ritter

von Andreas Felber (Kurztext)

Am Anfang standen der Punk von "The Clash" und Zwölftonmusik, Frank Zappa und Edgard Varèse. Karl Ritter, der Gitarristen-Freigeist aus Stockerau, zimmerte sich selbst seine musikalische Welt zusammen, autodidaktisch, wie es sich gehört, mit Lust am Forschen und Entdecken, an abenteuerlichen Expeditionen in neue Klanggefilde. Viele Jahre später ist Karl Ritter erneut auf jenen Weg eingeschwenkt. Längst hat er sich von der Etikettierung als Kurt-Ostbahn-Gitarrist wieder frei gespielt. Jenem Kurt Ostbahn, der an sich nicht wirklich auf Karl Ritters weg gelegen ist, der ihm "passiert" sei, und in dessen Bands er doch 15 erfahrungsreiche Jahre verbracht hat. Ein halbes Jahrhundert ist dieser Karl Ritter anno 2009 alt geworden, und mit jeder neuen CD nimmt er uns mit auf die Reise durch die Jahrhunderte und Kontinente, durch splitternde, erdig-bluesige wie melodisch-poetische Klang-Welten. Karl Ritter, der längst seine ureigene, trashig-energievolle Signatur entwickelt hat, bleibt in allen wechselvollen Exkursen stets unverwechselbar Karl Ritter.


Karl Ritter ist als Gitarrero ein absoluter Solitär. Dabei sind es oft die Noten, die er nicht spielt, die seine Stücke so faszinierend machen. Sein Mut zur Reduktion, egal ob kraftvoll oder zerbrechlich zart, zur Pause, die uns gerade zum Hinhören zwingt. Aber keine Angst, der Gitarrero kann auch schon verdammt viele Noten pro Takt unterbringen, wenn’s grad passt.
Genau, passen muss es. Das war schon so, als er noch in Ostbahn-Kurtis Chefpartie und Kombo die Axt geschwungen hat, in seinen Film-Scores (Schwarzfahrer, Blutrausch etc.), ist es immer wieder bei den maghrebinischen Dancefloor-Fegern von Kaderos Vienna Rai Orchestra- und bei seinen eigenen Projekten. Sein neugegründetes Karl Ritter-Trio muss hier erwähnt werden- der schönste, fesselndste, spannenste und dabei entspannteste Jazz, den es derzeit zu hören gibt. Und natürlich die Weissen Waende, ein so aufregender wie witziger Pop-Improvisation-Spokenword-Bastard. Andreas Russ / Kurier


"I waaß jo ois, oba i sogs ned." (Karl Ritter)
Die meisten Kritiker wissen nicht, wo sie den Herrn Ritter einordnen sollen. Das ist kommerziell gesehen natürlich ein Jammer, aber trotzdem gut so. Er weiß es nämlich selber auch nicht. Karl Ritter wußte nur schon mit 25 Jahren, daß er mit 50 genau das tun wollte, was er jetzt auch wirklich tut. Und vielleicht auch schon vorher - beim Geigenunterricht im zarten Kindesalter, bei den ersten Versuchen mit einer eigenen Band, draußen in Stockerau und Umgebung, beim Experimentieren mit der Gitarre (erst recht mit der elektrischen) und mit diverser Studiotechnik.
Er hat Rock’n’Roll gespielt, nicht nur beim Ostbahn ("Des foit ois unter Forschung"), Film-Soundtracks aufgenommen, mit Ensembles und Musikern aus aller Welt zusammengearbeitet, wilde Avantgarde- und ruhige Unplugged-Konzerte gegeben, bunte Wände wieder weiß gestrichen und ein paar wirklich bemerkenswerte Soloalben (nicht nur "Dobromann", aber auch) aufgenommen. Auch wenn die Kritiker nicht immer verstanden haben, was er da eigentlich tut ... sein Publikum begreift’s.
So wie auch an diesem Abend, an dem Karl Ritter mit Freunden, Mitstreitern und Weggefährten im Porgy seinen 50. Geburtstag feiert ("I kann ma jo ned olle zhaus einladn ...") - mit einer Filmdoku, die speziell für diesen Anlaß gedreht wurde, viel Musik in wechselnden Formationen und einem rauschenden Fest.
Nicht einmal Weihnachten ist schöner. Peter Hiess